Wenn in Sachsen kommende Woche das neue Schuljahr beginnt, ist dort eine Sache anders als in den allermeisten Bundesländern: Es gibt - Stand heute, Dienstag - keine allgemeine Maskenpflicht. Schulen sollen selbst entscheiden, ob Schülerinnen und Schüler einen Mund-Nasen-Schutz tragen müssen. Wir sind in Sachen Bildungsföderalismus zwar einiges gewöhnt, staunen in diesen Tagen aber oft, wie unterschiedlich die Corona-Regeln sind - und wie schnell Kultusminister ihre Haltungen verändern.
Um fast kein anderes Thema wird dabei wohl so gerungen wie um die Maskenpflicht im Unterricht, teils sogar vor Gericht. ("Debatte der Woche"). Viele Eltern, Lehrer und Schüler sind nicht nur deshalb genervt. Kaum hat der Unterricht nach den Ferien wieder begonnen, mussten etliche Schulen wegen Coronafällen zumachen. Viele seien jedoch noch immer nicht darauf vorbereitet, auf digitales Lernen umzustellen, mahnen Fachleute. ("Das ist los")
Die Erkenntnis, dass die Digitalisierung an Deutschlands Schulen dringend beschleunigt werden muss, reicht inzwischen bis ins Kanzleramt. Von dort gibt es immerhin eine, sagen wir mal, starke Willensbekundung, die Sache voranzutreiben. Wir finden: Es lohnt sich, genauer hinzusehen, wie andere Länder ihre Schulen durch die Coronakrise steuern. In diesem Newsletter finden Sie Tipps für weitere Lektüre dazu.
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Das Team von "Kleine Pause" wünscht Ihnen eine gute Zeit.
Susmita Arp, Silke Fokken, Armin Himmelrath
Das ist los
1. Kaum offen, schon wieder zu
Egal wie umstritten die Corona-Regeln an den Schulen im Einzelnen sind, in einem Punkt sind sich von Gesundheitsminister Jens Spahn bis hin zu Kultusministern, Eltern- und Lehrerverbänden alle einig: Dass in Deutschland, so wie im März, erneut alle Schulen geschlossen werden, muss möglichst vermieden werden. "Das Wegfallen des sozialen Lernens, der Begegnungen an Schule und einer erwachsenen Bezugsperson außerhalb der Familie kann nicht einfach ausgeglichen werden und hinterlässt tiefe Spuren in Kinderseelen", sagt Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE).
Tausende Schüler und mindestens einige hundert Lehrer sitzen trotzdem schon wieder zu Hause. Weil es Coronafälle gab, mussten im neuen Schuljahr etliche Schulen vorübergehend komplett schließen. Oder einzelne Jahrgänge oder Klassen wurden in Quarantäne geschickt. Wie viele Schulen bundesweit betroffen sind, erfassen die Behörden statistisch nicht genau. Eine private Initiative wertet daher lokale Medienberichte aus und hat eine Deutschlandkarte erstellt, die Sie hier finden.
Wie viele Schüler und Lehrer für wie lange nicht in die Schule dürfen, entscheiden übrigens nicht die Schulministerien, sondern die Gesundheitsämter. Harald Willert, Vorsitzender der Schulleitungsvereinigung Nordrhein-Westfalen, kritisiert im SPIEGEL jedoch, dass sich deren Vorgehen selbst bei ähnlich gelagerten Fällen oft stark unterscheidet. Das sorge für viel Verunsicherung. Außerdem habe sich an der Digitalisierung an vielen Schulen leider "faktisch nichts getan".
2. Digitalisierung
Die gute Nachricht: Bundeskanzlerin Angela Merkel, SPD-Chefin Saskia Esken, Bundesbildungsministerin Anja Karliczek sowie mehrere Kultusminister sind sich einig, dass die Digitalisierung an Deutschlands Schulen dringend vorangetrieben werden muss. "Wir sind alle wild entschlossen", so der Tenor eines Schulgipfels im Kanzleramt. Die Runde fand, dass auch an Schulen Realität werden soll, was in Unternehmen längst Praxis ist: die Ausstattung der Mitarbeiter, also Lehrkräfte, mit Dienstlaptops. Demnächst soll es einen zweiten Schulgipfel geben. Die Runde darf allerdings nichts entscheiden. Bildung bleibt Ländersache.
Zudem ist es mit der Anschaffung von Hardware nicht getan. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" greift unter dem Titel "Wehe, wenn die Schulen wieder schließen" ungeklärte Fragen zum Datenschutz beim digitalen Lernen auf. Jürgen Möller, Leiter der Kölner Akademie für Lernpädagogik, glaubt außerdem, dass noch viel Aufklärungsbedarf besteht: "Viele Lehrer verstehen unter Digitalisierung, dass sie eingescannte PDFs per E-Mail verschicken." Möller erklärt unter anderem in der "Zeit", was er unter einem "Flipped Classroom" versteht.
In einigen ländlichen Gegenden fehlt es allerdings an ganz grundsätzlichen Voraussetzungen, um überhaupt digitalen Unterricht anzubieten, wie Andrea Kunkel, Landesvorsitzende des niedersächsischen Schulleitungsverbandes, beklagt: "Wenn ich kein WLAN an der Schule habe, dann habe ich auch Schwierigkeiten, hier mit Tablets zu arbeiten."
Länder wie Dänemark und Norwegen haben schon vor Jahren in die Digitalisierung ihrer Schulen investiert und seien in der Pandemie auch deshalb "resilient", sagt Bildungsforscher Olaf Köller. Was Deutschland in der Coronakrise von den nordischen Ländern und deren Schulpolitik lernen kann, lesen Sie in dieser SPIEGEL-Geschichte. Spoiler: mehr Gelassenheit. Das "Redaktionsnetzwerk Deutschland" hat einen Überblick zu Schulen in Coronazeiten etwa in den USA, Kenia oder Japan erstellt.
3. Was sonst noch war
In Großbritannien liefen Schüler, Eltern und Lehrkräfte Sturm, weil die Noten für die wegen Corona abgesagten Abschlussprüfungen nicht von den Lehrerinnen und Lehrern festgelegt werden sollten - sondern mithilfe einer umstrittenen Software. Das Ziel: Die tendenziell zu positiven Einschätzungen der Lehrkräfte sollten auf das Durchschnittsniveau der vergangenen Jahre gedrückt werden.
Tatsächlich wurden durch den Algorithmus 39 Prozent aller Abschlussnoten abgewertet. Warum Kritiker das Vorgehen sozial ungerecht fanden - und wer sich in dem Streit am Ende durchgesetzt hat, lesen Sie hier.
Debatte der Woche
Sechs Bundesländer kehren in den kommenden Tagen wieder aus den Ferien zurück und starten mit verschiedenen Regeln zur Maskenpflicht. Sachsen beispielsweise verzichtet darauf, die Schulen sollen selbst entscheiden. In Niedersachsen muss die Maske in Fluren oder auf Treppen getragen werden, überall dort, wo kein Mindestabstand möglich ist. Bislang. Die Entscheidungen ändern sich gefühlt mitunter schneller als so eine Maske durchgeschwitzt ist, unter Berufung auf unterschiedlichste Argumente etwa von Virologen oder Bildungsexperten oder nach Gerichtsbeschlüssen.
In Schleswig-Holstein gab es zunächst nur die "dringende Empfehlung", eine Maske in der Schule zu tragen. Eine Schule in Kiel jedoch ordnete eine Maskenpflicht im Unterricht an. Dagegen klagte ein Schüler erfolgreich vor Gericht. Noch am selben Tag entschied Bildungsministerin Karien Prien (CDU): Die Maskenpflicht wird eingeführt, aber nicht im Klassenraum. In Nordrhein-Westfalen wiederum scheiterten drei Schüler mit einer Klage gegen die Maske im Unterricht.
Das Thema polarisiert wie kaum ein anderes. Auf dem "Deutschen Schulportal" sollen Hacker sogar versucht haben, eine Umfrage zur Maskenpflicht im Unterricht in ihrem Sinne zu manipulieren. Die "Süddeutsche Zeitung" riet zur "Vorsicht mit der Wunderwaffe".
Der Streit bettet sich in eine allgemeine Debatte zur Maskenpflicht. "Der Zünd-Stoff" hieß eine SPIEGEL-Titelgeschichte dazu. Ein neuer Vorstoß kommt nun von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie sagte der "Welt am Sonntag", wenn das obligatorische Tragen von Masken im Unterricht dazu führe, die Schließung der Schulen zu umgehen, solle man darüber nachdenken.
Wie es weitergeht, ist offen. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
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