In diesen Tagen gehen auch in den letzten Bundesländern die Herbstferien zu Ende, gleichzeitig steigen fast überall die Inzidenzwerte, vor allem unter Kindern und Jugendlichen. Deutschlands Schulen stecken mitten im zweiten Coronaherbst.
Vielleicht geht es Ihnen wie uns: Wir ahnen, dass uns dieses Thema noch eine Weile begleiten wird – und brauchen deshalb eine kleine Pause. Deshalb hier ein Experiment: eine Ausgabe des Newsletters ohne Corona-Neuigkeiten.
Es gibt so viel anderes zu berichten, manches ist sogar positiv: Berlin schenkt Schülerinnen, Schülern und dem pädagogischen Personal an Schulen einen Ferientag, in Bayern können Kinder an manchen Grundschulen jetzt Reiten lernen (»Das ist los«).
Anderes eher nicht: Grundschüler in Augsburg spielen auf dem Pausenhof die brutale Netflix-Serie »Squid Game« nach (»Das ist los«). Und es gibt mal wieder Ärger mit der Digitalisierung (»Zahl der Woche«).
Susmita Arp, Kristin Haug, Armin Himmelrath und Miriam Olbrisch
Das ist los
1. Bis 2026 ist viel zu tun
Ab 2026 gibt es einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder, so haben es Bundestag und Bundesrat im Sommer nach langen Verhandlungen beschlossen. Doch bis dahin ist noch viel zu tun: Es fehlen 600.000 zusätzliche Betreuungsplätze, dazu 35.000 zusätzliche Vollzeitstellen, hat das Deutsche Jugend Institut zusammen mit der TU Dortmund ausgerechnet, wie der SPIEGEL berichtet. Zwischen den Bundesländern gibt es riesige Unterschiede. Kritisch sei die Situation vor allem in den westdeutschen Flächenländern, heißt es in der Studie.
2. Wo sind die Lehrkräfte?
Gleichzeitig könnte sich die ohnehin schon angespannte Situation für Lehrkräfte weiter verschärfen. Wie die Universität Jena meldet, begannen in diesem Wintersemester 28 Prozent weniger junge Menschen ein Lehramtsstudium als noch im Jahr zuvor. Das berichtet ZEIT online. Für das Lehramt an Realschulen nahm das Interesse besonders stark ab: Die Erstsemesterzahlen halbierten sich im Vorjahresvergleich auf nunmehr noch 42 (Vorjahr: 88).
3. Squid playing Games
Die blutige südkoreanische Serie »Squid Game« ist die bisher erfolgreichste Netflix-Produktion – und hat nun offenbar die ersten deutschen Schulhöfe erreicht. Auf dem Bildschirm treten 456 Menschen in scheinbar harmlosen Kinderspielen gegeneinander an, um ein Preisgeld in Millionenhöhe zu gewinnen. Doch der makabre Wettbewerb lässt keine zweite Chance zu: Wer es nicht in die nächste Runde schafft, wird umgehend getötet. In Augsburg haben Kinder einer Grundschule Szenen nachgespielt. Statt Erschießungen gab es Ohrfeigen. Ähnliches wurde auch aus Berlin und sogar aus einer Kita im schleswig-holsteinischen Pinneberg berichtet. »Squid Game« ist erst ab 16 Jahren erlaubt.
4. Und sonst noch?
Berlin verlängert die Weihnachtsferien und schenkt Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften einen »unterrichtsfreien Tag«: den 23. Dezember. So sollen »Hektik und Stress unmittelbar vor Weihnachten für Eltern sowie Schülerinnen und Schüler« reduziert werden, teilt die Senatsverwaltung mit.
An einer privaten Montessori-Grundschule in Brandenburg zerstreiten sich Eltern, Schulleitung und Geschäftsführung über die Frage, wie gute Digitalisierung geht. In der Folge mussten sechs Kinder die Schule verlassen. Die ganze Geschichte steht in der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL oder online auf SPIEGEL+.
Grundschülerinnen und Grundschüler in Bayern sollen Reiten lernen können. Karin Baumüller-Söder, First Lady des Freistaats und laut Pressemitteilung selbst »jahrzehntelang turniererfahrene Springreiterin«, eröffnete jüngst die Initiative »Reiten in der Grundschule«. Dahinter verbirgt sich bei näherem Hinsehen eine Kooperation zwischen einem Reitverein und einer Grundschule in Heroldsbach bei Erlangen. Das Modell soll aber »Schule machen«, versichert das Staatsministerium für Unterricht und Kultus in München.
Zahl der Woche
Rund 400.000
So viele minderjährige Kinder und Jugendliche nutzen die kommerzielle Schul-App »Scoolio« – und wurden Opfer eines Datenlecks, wie das IT-Sicherheitskollektiv »Zerforschung« um die Aktivistin Lilith Wittmann aufgedeckt hat. Wittmann führte dem Mitteldeutschen Rundfunk vor, wie einfach sie auf Namen, Geburtsdaten und Standortdaten der minderjährigen Nutzerinnen und Nutzer zugreifen konnte. Zugleich berichtet das Kollektiv über angebliche weitere haarsträubende Geschäftspraktiken von »Scoolio«. So spiele die Plattform mit fast jedem Klick Werbung aus, schreibt »Zerforschung«. Dazu würden die Nutzerinnen und Nutzer genau durchleuchtet. Scoolio erfasse »jeden Datenpunkt, den sie bekommen können«. Durch Persönlichkeitstests in Form von »Jobquizzes und anderen lustigen Mini-Games« würden »gezielt immer mehr Informationen« gesammelt.
Debatte der Woche
Hochbegabte Kinder gab es immer schon. Aber was soll der Hype um sie? Die wachsende Aufmerksamkeit und Förderung sind unnötig und vor allem ungerecht, argumentiert der Politikwissenschaftler, Soziologe und Buchautor Martin Hecht. Hier lesen Sie einen Auszug aus seinem Text. Den kompletten Beitrag finden Sie auf SPIEGEL+.
»Werden unsere Kinder immer intelligenter? Nein, vielmehr werden immer mehr als ›hochbegabt‹ erkannt. Von Pädagogen, die sich mit solchen Kindern beschäftigen, wird die gestiegene Zahl nicht genetisch erklärt, sondern mit den heutigen Möglichkeiten der Messung. Früher seien viele schlicht unentdeckt geblieben, hört man, heute würden mehr und immer frühzeitiger ›identifiziert‹.
Die Diskussion über Sinn und Unsinn der Hochbegabtenförderung verläuft recht einseitig. Es scheint oft ausgemacht, dass das Schulsystem auf Vierjährige, die im Tausenderraum rechnen oder fließend Englisch als Zweitsprache sprechen, mit gezielten Angeboten reagieren solle.
Aber ist es überhaupt nötig, cleveren Kindern eine andere Behandlung angedeihen zu lassen als anderen? Bis heute gibt es tatsächlich keine einzige Studie, die gezeigt hätte, dass es Hochbegabten schadet, wenn sie einfach nur den normalen Schulbetrieb durchlaufen. Wie alle anderen auch.«