28.01.2020 Zu dreckig zum Lernen?  

Liebe Leserinnen, liebe Leser, guten Morgen,

das erste Halbjahr ist fast geschafft – in dieser Woche erhalten zahlreiche Schülerinnen und Schüler ihre Zwischenzeugnisse. In einigen Bundesländern sind die Noten, die darauf stehen, ein erster Gradmesser für die bange Frage: Wird es wohl für die Versetzung reichen?

In Sachsen, so haben es Wissenschaftler nun herausgefunden, sind wohl nicht nur die Noten ausschlaggebend dafür, ob Kinder eine Klasse wiederholen müssen. Mitunter nutzen Schulleitungen und Lehrkräfte dieses Instrument wohl auch, um Klassengrößen zu beeinflussen – auch wenn das erst einmal absurd klingt („Gut zu wissen“).

Immer wieder erreichen uns Horrorgeschichten von Kindern, die in der Schule nichts trinken möchten – um den Toilettengang bis nach Schulschluss hinauszuzögern. Andere verdrücken sich gleich ins benachbarte Einkaufszentrum, zu unangenehm sind die hygienischen Zustände, die sie in ihren Schulen manchmal vorfinden. In Berlin musste nun eine Sekundarschule für einen Tag schließen, weil die Toilette für die Schülerinnen und Schüler nicht benutzbar waren („Das ist los“).

Die letzte Ausgabe von "Kleine Pause" stand ganz im Zeichen des Lehrermangels. In diesen Tagen tritt die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz ihren Job an: Stefanie Hubig, SPD-Kultusministerin von Rheinland-Pfalz und promovierte Juristin, übernimmt turnusmäßig für ein Jahr den Vorsitz des Gremiums. Was ihr zum Lehrermangel einfällt und was sie sonst so vorhat, lesen Sie in unserem Drei-Fragen-Interview („Debatte der Woche“). 

Haben Sie Fragen, Kritik und Anregungen zu unserem Newsletter? Wir freuen uns über Post an kleinepause@newsletter.spiegel.de.

Das Team von "Kleine Pause"
Susmita Arp, Silke Fokken, Armin Himmelrath, Miriam Olbrisch

Illustration zum Abonnieren des Bildungs-Newsletters "Kleine Pause"
„Kleine Pause“ – der Bildungs-News­letter vom SPIEGEL
News, Debatten und neue Erkennt­nisse aus der Wissen­schaft: Hier erfahren Sie, was Deutschlands Schulen bewegt. Bleiben sie bei Bildungs­themen immer auf dem Laufenden. Erfahren Sie früher von neuen Ange­boten auf SPIEGEL Ed.

Das ist los

1. Ein Schulleiter rechnet ab

Geht es noch radikaler? Mehr als 20 Jahre lang unterrichtete Oliver Hauschke an Gymnasien in Hessen und Niedersachsen und leitete den gymnasialen Zweig einer kooperativen Gesamtschule. Nun rechnet er mit dem deutschen Bildungssystem ab. „Schafft die Schule ab“, hat er sein Buch genannt, das in diesen Tagen erscheint. Wie er das meint und welche Alternativen er fordert, erklärt der 46-Jährige im Interview mit dem SPIEGEL.

2. Zu schmutzig zum Lernen

Manche Schulen sind dermaßen dreckig, dass die Behörden Kindern und Jugendlichen nicht zumuten wollen, dort zu lernen. Die "Berliner Zeitung" berichtet über den Brandbrief von 30 Schulleitern, mehrheitlich von Grundschulen, an das Bezirksschulamt Charlottenburg, in dem sie ihrem Ärger über die katastrophalen hygienischen Zustände Luft machen. Im November, so berichtet die Zeitung weiter, habe eine Sekundarschule in Berlin-Pankow sogar wegen verdreckter Toiletten für einen Tag schließen müssen.

Haben Sie an Ihrer Schule ähnliche Erfahrungen gemacht? Schreiben Sie uns gern, auf Wunsch auch anonym, an bildung@spiegel.de.

3. Traditionelle Berufswünsche

Wenn die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) alle drei Jahre ihre Pisa-Studie vorstellt, geht es in erster Linie um die Schulleistungen der 15-Jährigen in den untersuchten Ländern. Mindestens genauso spannend sind die Daten, die die Bildungsforscher noch nebenbei erheben und die erst nach und nach ausgewertet werden. Nun hat die OECD den Bericht „Dream Jobs: Teenagers’ career aspirations and the future of work“ vorstellte. In 41 Ländern hatte sie die Pisa-Teilnehmer gefragt, welchen Beruf sie als 30-Jährige gerne ausüben würden. Überraschendes Ergebnis: Die Jugendlichen halten an traditionellen Berufswünschen fest, wollen Ingenieur, Ärztin oder Manager werden – und übersehen dabei, dass es einige dieser Jobs in zehn Jahren vielleicht gar nicht mehr in der Form geben könnte. Eine ausführliche Analyse finden Sie hier, die Orginalstudie der OECD finden Sie hier.

Gut zu wissen

Ob ein Kind eine Schulklasse wiederholen muss, hängt auch von strategischen Erwägungen der Schulleitung und Lehrerschaft ab - etwa um Klassengrößen zu beeinflussen. Zu diesem Schluss kommt der Bildungsökonom Maximilian Bach in einer Studie für das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Bach untersuchte dazu Daten sämtlicher öffentlicher Grundschulen des Landes Sachsen für die Schuljahre 2004/2005 bis 2014/2015. Was er herausfand, darf man mindestens irritierend finden. Normalerweise müssen Kinder in Sachsen eine Klasse wiederholen, wenn sie in mindestens einem Fach die Note fünf oder sechs erhalten. Die endgültige Entscheidung liegt allerdings bei der Klassenkonferenz, also der Schulleitung sowie den Lehrkräften.

Das Budget der Schule, argumentiert Bach, hänge von der Anzahl der Klassen ab. Es lohne sich also, schwache Schüler strategisch zu versetzen oder nicht zu versetzen, wenn das dazu führe, dass eine Klasse in zwei kleinere Klassen aufgeteilt oder aber nicht mit einer anderen Klasse zusammengelegt wird. Die komplette Studie (auf Englisch) gibt es hier, eine Zusammenfassung auf Deutsch steht hier.

Haben Sie ähnliche Erfahrungen oder Beobachtungen gemacht? Schreiben Sie uns, gern auch anonym, an bildung@spiegel.de.

Debatte der Woche

Drei Fragen an Stefanie Hubig (SPD), Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz und seit wenigen Tagen Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Das kommende Jahr soll gemäß ihrem Wunsch unter dem Motto „Europa – (er)leben und gestalten“ stehen.

SPIEGEL: Frau Hubig, Sie sind nun für ein Jahr Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Als Schwerpunktthema haben Sie sich ausgerechnet Europa ausgesucht. Gibt es nicht drängendere Herausforderungen, etwa den Lehrermangel, die mittelmäßigen Ergebnisse deutscher Schüler bei der letzten Pisa-Studie oder die Digitalisierung?

Hubig: Ein freies, ein friedliches Europa ist keine Selbstverständlichkeit. Das sollte uns gerade in diesen Tagen deutlich werden, in denen wir des 75. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz gedenken. In Zeiten des Brexits wird der Zusammenhalt in Europa fast täglich in Frage gestellt. Deshalb ist es wichtig, dass wir Schülerinnen und Schülern den Wert Europas näherbringen. Darüber hinaus übernimmt Deutschland im Sommer die EU-Ratspräsidentschaft, das ist also auch ein guter Anlass, das Thema in den Fokus zu rücken. Das heißt natürlich nicht, dass wir deshalb die anderen Herausforderungen vernachlässigen. Auf die KMK kommt in den nächsten Monaten viel Arbeit zu.

SPIEGEL: Was kann die KMK gegen den Lehrermangel tun? Derzeit herrscht vor allem der Eindruck, die Länder würden sich gegenseitig eher Lehrkräfte abjagen statt das Problem gemeinsam zu bekämpfen.

Hubig: Es gibt unter den Ländern die Absprache, dass sie nicht gezielt Fachkräfte aus anderen Bundesländern abwerben dürfen. Würde Baden-Württemberg zum Beispiel bei uns in Rheinland-Pfalz Plakate aufhängen, um Lehrkräfte in den Süden zu lotsen, verstieße das gegen diese Absprache. Es ist Aufgabe aller Länder, bedarfsgerecht Lehrkräfte auszubilden und einzustellen. Genau daran arbeiten alle mit Hochdruck.

SPIEGEL: Viele Universitäten fahren derzeit Kapazitäten für Studienplätze im Lehramt hoch. Kommt das nicht zu spät?

Hubig: Den aktuellen Mangel können wir so nicht beheben, da müssen andere Lösungen her, wie viele Länder sie heute schon nutzen: Sie setzen Quereinsteiger ein oder bitten Ruheständler, länger zu unterrichten. In Rheinland-Pfalz spielt der Quereinstieg kaum eine Rolle. Wir können in diesem Schuljahr alle Stellen mit ordentlich ausgebildeten Lehrkräften besetzen, was mich sehr freut. Alle Länder haben gleichwohl weiterhin die Aufgabe, genug Lehrerinnen und Lehrer für die richtigen Fächer auszubilden und einzustellen.

Interview: Miriam Olbrisch