26.01.2021 Die Misere in der Wiederholung – und mögliche Auswege

In der Serie »Corona und Schulen« wiederholt sich so langsam das Geschehen, als wolle den Verantwortlichen einfach nichts Neues einfallen: Die Kultusministerinnen und -minister halten am Primat des Präsenzunterrichts fest, die Kanzlerin und ihre Runde nicht – am Ende werden die Schulen geschlossen, abhängig vom Bundesland aber mehr oder weniger »restriktiv«.

Leidtragende sind rund elf Millionen Kinder und Jugendliche, ihre Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer. Leider handelt es sich nicht um eine schlecht gemachte Netflix-Serie, sondern die Realität, gefangen in einer Dauerschleife. Laut der jüngsten Umdrehung sollen Schulen nun bis zum 14. Februar »grundsätzlich geschlossen« bleiben. Wie es danach weitergeht, wurde getreu dem Serien-Gesetz natürlich nicht verraten. Aber wir ahnen: ähnlich wie bisher. Man wurschtelt sich so durch. Das sorgt für Kontroversen – auch bei uns in der Redaktion.

Immerhin hat die Kultusministerkonferenz inzwischen einen Beschluss zu Abschlussprüfungen gefasst, der allerdings – Sie ahnen es – den Ländern viel »Spielraum« lässt. Zugegeben, wir klingen reichlich ernüchtert, freuen uns aber umso mehr, wenn in diesen Tagen konstruktive Vorschläge kommen, etwa wie sich jetzt kurzfristig Chancengleichheit fördern lässt. Oder wie Distanzunterricht das Lernen sogar fördern kann (Das ist los).

Vielleicht hilft Ihnen die eine oder andere Idee weiter? Das Team von »Kleine Pause« wünscht Ihnen so oder so eine gute Woche – und Gesundheit.

Feedback & Anregungen?

Das Team von »Kleine Pause«

Silke Fokken, Kristin Haug und Armin Himmelrath

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Das ist los

1. Prüfungsergebnisse

Sollen die Abi-Prüfungen in diesem Schuljahr stattfinden – trotz Corona, trotz Unterricht im Pandemie-Modus, trotz Schulschließungen? Mit einer gemeinsamen Antwort auf diese Frage ließ sich die Kultusministerkonferenz (KMK) Zeit. Schülerinnen und Schüler in Rheinland-Pfalz hatten bereits ihre Klausuren geschrieben, und die Bundesschülerkonferenz hatte gedrängelt, dass andere Jugendliche in der Vorbereitungsphase endlich »klare Ansagen« benötigen würden – da kam am vergangenen Donnerstag der lang erwartete Beschluss.

Ja, die Abitur-Prüfungen finden statt, hieß es in dem KMK-Papier. Selbst wenn die Schulen weiter geschlossen bleiben sollten, könnten Prüfungen in dortigen Räumen abgelegt werden. Die Länder wollen zudem garantieren, dass Jugendliche ihre Abschlüsse im Sekundarbereich eins, also beispielsweise Haupt- und Realschulabschlüsse, erlangen können. Einschränkend heißt es hier: »in Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen«. Wichtig: Die Abschlüsse seien »denen früherer und späterer Jahrgänge gleichwertig und werden gegenseitig anerkannt«.

Bringt das nun die gewünschte Klarheit? Jein. Denn wie ein faires und gleichwertiges Abitur für den Corona-Jahrgang angesichts all der Widrigkeiten in der Pandemie aussehen kann, haben die Kultusminister eben nicht einheitlich festgelegt. Sie wollen den Ländern vielmehr ausdrücklich »Spielraum« lassen und haben sich deshalb auf Vorschläge beschränkt. Dazu gehört die mögliche Verschiebung von Prüfungsterminen, über die Länder wie Bayern wiederum schon längst entschieden haben. In einem strittigen Punkt legten sich die Minister immerhin fest: Freiwilliges »Sitzenbleiben« soll nicht auf die Höchstverweildauer an der Schule angerechnet werden. Alle Details lesen Sie hier.

2. Gerechtigkeitsfragen

Mindestens zwei Monate sollen Deutschlands Schulen geschlossen bleiben. Das ifo-Institut warnt: Damit werde eine ganze Generation Schülerinnen und Schüler ökonomisch abgehängt, ohne die Chance, die Verluste wieder aufzuholen. »Nichts ist in der Bildungsökonomie so gut dokumentiert wie der Zusammenhang von Bildung und Einkommen«, sagt der Bildungsforscher Ludger Wößmann, wie Sie im »Handelsblatt« und auf spiegel.de nachlesen können.

Sollten die Schulen bis Ende Februar geschlossen bleiben, müsse von einem Verlust beim Lebenseinkommen der Schüler im Schnitt von 4,5 Prozent ausgegangen werden, mahnt Wößmann. Auf bis zu 3,3 Billionen Euro könnten sich die negativen Folgen der Schulschließungen während der Pandemie insgesamt belaufen.

Zusätzlich warnen Bildungsforscher seit Monaten davor, dass sich die in Deutschland ohnehin stark ausgeprägte Chancenungerechtigkeit durch Schulschließungen weiter verschärfen könnte. Eine 22-köpfige Experten-Kommission hat nun im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung konkrete Empfehlungen vorgelegt, wie sich kurzfristig gegensteuern ließe. Die einzelnen Vorschläge können Sie hier nachlesen.

Spoiler: Fast allen vorgeschlagenen Maßnahmen liegt ein Prinzip zugrunde, das auf den ersten Blick ungerecht wirkt: nicht alle Kinder und alle Schulen gleichzubehandeln.

3. Schülerlösungen

Kaum waren die Schulen geschlossen, ging vielerorts der Distanzunterricht los – und mit ihm die Klage, dass es beim digitalen Lernen oft hakt. »Meine Englisch-Klausur habe ich am Handy geschrieben«, berichtet beispielsweise eine Schülerin der Redaktion von zeit.de, die mehrere Protokolle von Jugendlichen und ihren Erfahrungen zusammengestellt hat.

In Hessen und Bayern gab es Hackerangriffe: Unbekannte luden zweifelhaftes Material, darunter Nacktbilder, auf eine Lernplattform für Grundschüler hoch. In Bayern ermittelt die Polizei wegen sexuellen Missbrauchs.

Tanja Triarico beschreibt in der »taz«, wie hochmotivierte und digital kompetente Lehrerinnen und Lehrer auf technische Hürden stoßen. Einer, der solche Berichte offenbar leid ist, kommt in der »SZ« ausführlich zu Wort. Der Realschullehrer Sebastian Schmidt findet: »Immer nur klagen bringt uns nicht weiter.« Im Interview mit Susanne Klein beschreibt Schmidt, wie Schüler seiner Meinung nach beim Lernen auf Distanz gewinnen können.

Debatte der Woche

147 Jahre bis zum fachgerechten Unterricht?

Die CDU-FDP-Landesregierung in NRW will das Schulfach Wirtschaft in den Schulen etablieren – und dafür das bisherige Fach Sozialwissenschaften streichen. Bettina Zurstrassen, Professorin für Sozialwissenschaften an der Uni Bielefeld und Landesvorsitzende des Deutschen Vereins für Politische Bildung (DVPB), hält das für eine Schnapsidee. Ein Gastkommentar.

In NRW soll das neue Schulfach »Wirtschaft-Politik« eingeführt werden. Eine Lehramtsausbildung dafür gibt es noch nicht, also sollen die 9605 Lehrerinnen und Lehrer mit der Unterrichtsbefähigung für Sozialwissenschaften einspringen. Fragt man die Landesregierung, ob die Sowi-Lehrkräfte das denn können, gibt es als Antwort ein entschiedenes Jein.

Denn sie sollen das neue Fach zwar erst einmal unterrichten, haben aber dafür angeblich keine Lehrbefähigung, sagt die Regierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Landtag: »Lehrkräfte mit einer Fakultas für das Fach Sozialwissenschaften dürfen Wirtschaft-Politik nur vertretungsweise unterrichten.« Wer die unbefristete Unterrichtserlaubnis für das neue Fach nachträglich erwerben will, muss einen einjährigen Zertifikatskurs belegen – und dafür werden landesweit genau 65 Ausbildungsplätze angeboten.

Eine kleine Berechnung zeigt die zukunftsweisende Politik der Landesregierung:

9605 Lehrkräfte mit Fakultas Sozialwissenschaften geteilt durch 65 Zertifikatsplätze/Jahr ergibt 147 Jahre, bis alle Lehrkräfte die Lehrbefähigung für Wirtschaft/Politik erworben haben. Man kann den Sowi-Lehrkräften nur ein langes Leben wünschen.

Nachvollziehbar ist diese Strategie nicht, aber es geht auch nicht um Logik, sondern um machtpolitisches Kalkül. Denn statt Landesfortbildungen sollen sich die Lehrkräfte nach anderen Ausbildungsangeboten umsehen. Industrie- und Wirtschaftsverbände sollen hier die Fortbildung der Lehrkräfte übernehmen.

Auf der Homepage des Schulministeriums NRW rudert die Landesregierung mittlerweile zurück. Angeblich seien das alles Falschmeldungen. Selbstverständlich würden die bisherigen Abschlüsse anerkannt. Warum aber gibt es dann Zertifikatskurse für Sowi-Lehrkräfte, wenn ihre Lehrbefähigung Sozialwissenschaften für Wirtschaft-Politik anerkannt werden soll?

Wir beobachten mittlerweile gegenüber Sowi-Lehrkräften eine regelrechte Diskreditierungsstrategie, die in den letzten Jahren durch Befürworter des Monofachs »Wirtschaft« aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und liberal-konservative Medien erfolgt ist. Umso mehr gilt es, für den Erhalt des Studien- und Unterrichtsfaches Sozialwissenschaften zu kämpfen. Soziologie ist nicht nur ein »Element« gesellschaftlicher Bildung, sondern ein fundamentaler Bestandteil. Das muss sich in der Bezeichnung auch des neuen Studien- und Unterrichtsfachs spiegeln.

Wirtschaft oder Sowi – wie sehen Sie das? Schreiben Sie uns gern an kleinepause@newsletter.spiegel.de.

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