23.08.2022 Mit alten Problemen ins neue Schuljahr

Nach den Sommer­ferien platzen die Träume: kaum neue Gesichter in den Lehrer­zimmern, keine Luft­filter, dunkle Wolken über dem Digital­pakt. Des­halb sagt Lehrer, Blogger und Buch­autor Bob Blume: »Wir sollten weniger Stoff wagen.«

Jetzt mal ganz ehrlich: Hatten Sie nicht auch die leise Hoffnung, dass nach den Sommer­ferien viel­leicht ein paar der vielen, vielen Probleme in den Schulen etwas kleiner geworden sein könnten? Dass vielleicht ein halbes Dutzend neuer Kolleg­innen und Kollegen – zu­sätzlich zum bis­herigen Team! – das Lehrer­zimmer bevölkern und die Kaffee­küche stürmen könnten? Dass sich der Haus­meister darüber beklagen würde, dass die 35 gelieferten Luft­filter erst am letzten Arbeits­tag vor Unter­richts­beginn geliefert wurden und er das ganze Wochen­ende durch­arbeiten musste, um sie in den Räumen zu verteilen und anzuschließen?

Lassen Sie uns gern wissen, wenn es an Ihrer Schule so sein sollte – denn das dürfte absoluten Selten­heits­wert haben. Statt­dessen zeigt sich: Vom Lehr­kräfte­mangel bis zum Digital­pakt bleibt alles beim Alten. Und das heißt: schlecht (»Das ist los«).

Trotzdem sollte das kein Anlass sein, um nur frustriert die eigenen Stunden ab­zu­reißen, sagt Ober­studien­rat und Buch­autor Bob Blume. Er hält dagegen: Je desaströser die Rahmen­bedingungen, desto größer sind die Lücken und Frei­räume, die sich auf­tun und in denen sich eine neue Art des Lernens und Lehrens etablieren lässt. Blume, der als »Netz­lehrer« auf Social-Media-Kanälen unter­wegs ist, setzt darauf, dass der im All­tag ent­stehende Druck auch zu Veränderungen der Rahmen­bedingungen führen wird (»Debatte der Woche«).

Sollten Sie dagegen zu den­jenigen gehören, deren Sommer­ferien gefühlt gerade eben erst an­ge­fangen haben (Sie arbeiten also in Bayern oder Baden-Württem­berg), dann genießen Sie die freien Tage! Wenn Sie wieder im Dienst sind, können Sie dann ja immer noch nach­lesen, dass es aus Nord­rhein-West­falen eine Kampf­ansage an das süd­deutsche »Wir fangen als Letzte mit den Ferien«-Abo gibt. Aber keine Sorge, der Status quo wird dieses Jahr ganz bestimmt noch nicht geändert.

Wie immer freuen wir uns über Lob, Kritik und Themen-Anregungen per E-Mail an bildung@spiegel.de. Bleiben Sie gesund!

Workshop: Diskriminierende Sprache und Narrative
Welche diskriminierenden Narrative gibt es in der Medien­bericht­erstattung und wie können Schüler:in­nen dafür sensi­bilisiert werden? Unsere jungen Medien-Fellows haben einen medien­päda­gogischen Work­shop zu diesem Thema entwickelt, der für alle Schul­formen ab Klasse 9 geeignet ist.

Das ist los

1. Dicke Bretter: Sommer­ferien und Lehrer­mangel

In NRW hat die Schule wieder begonnen – mitten im Hoch­sommer. Und weil es in einigen Klassen­zimmern teils mehr als 40 Grad heiß wurde, gab’s dann auch ruck­zuck Hitze­frei – und jede Menge Diskussionen: Eltern­vertreter fordern Klima­anlagen, und der Bildungs­politiker Jochen Ott setzt sich im Inter­view mit meiner Kollegin Miriam Olbrisch für Reformen bei der Planung der Sommer­ferien ein. Ott beklagt, dass die Debatte an der Realität viel zu oft vorbeigehe: »Viele Lehr­kräfte würden sich freuen, wenn sie Fenster öffnen und Wasch­becken nutzen könnten. Luft­filter, Klima­anlagen und Gebäude­technik sind für sie Luxus.«

Zum Luxus vieler Schulen gehört in diesen Zeiten auch ein komplett aus­ge­stattetes Kollegium. NRW kam ja als erstes Bundes­land aus den Sommer­ferien zurück und musste schon nach in den ersten Tagen dem päda­gogischen Fach­kräfte­mangel Tribut zollen: Die Behörden reduzierten mancher­orts die Stunden­tafel, appellierten an die Solidarität – und verschoben Personal. Das schließt dann die eine Lücke und macht anders­wo eine auf.

Die Leid­tragenden sind die­jenigen, die noch da sind. Und die ziehen längst Konsequenzen: Während in der deutschen Wirt­schaft die Teil­zeit­quote von Ange­stellten bei 30 Prozent liegt, ist sie bei Lehr­kräften deutlich höher. Neue Interessenten von Grund auf aus­zu­bilden, dauert rund sieben Jahre. Wie also lassen sich die Lücken füllen? Durch Quer­ein­steiger? Sofie Czilwik hat in der »Zeit« die ent­sprechenden wissen­schaft­lichen Erkennt­nisse dazu zusammen­getragen und kommt zu dem Schluss, dass der Einsatz von Quer­ein­steigern kein »Verbrechen an den Kindern« ist. Ein lesens­werter Text.

Einen ganz anderen Weg geht Hessen. Dort sollen zukünftig Master-Studierende an den besonders gebeutelten berufs­bildenden Schulen aus­helfen. Damit das attraktiv wird, sollen vom Winter­semester an unter anderem Studierende der Fächer Informatik und Chemie­technik in Darm­stadt sowie der Fach­richtung Gesund­heit in Kassel in die Schulen kommen – und dafür sogar Geld erhalten. Den Bericht der »Frankfurter Neuen Presse« finden Sie hier.

2. Ein noch dickeres Brett: die Luftfilter

Über Luft­filter in den Schulen haben wir an dieser Stelle und generell im SPIEGEL schon oft berichtet. Genauer: darüber, warum sich viele Eltern solche Geräte wünschen, warum Fach­leute sich über deren Wirkung nicht einig sind und warum sie de facto nur in einer geringen Zahl von Schul­klassen wirklich auf­ge­stellt wurden. Jetzt scheint sich das Thema end­gültig zu erledigen: Der Bund hat das Förder­programm für mobile Luft­reiniger aus­laufen lassen – wohl auch des­halb, weil das Geld kaum ab­ge­rufen wurde.

3. Das allerdickste Brett: der Digitalpakt

Haben Sie gerade ein bisschen genervt das Gesicht verzogen? Klar, es geht um den Digital­pakt, da kann man schon mal etwas angefasst sein. Tat­sächlich ist die Bilanz mau: Die Gelder wurden nicht nach Bedarf verteilt, die Verwendung war schwer kontrollier­bar, der Erfolg nicht mess­bar. Jetzt hat der Bundes­rechnungs­hof die Reiß­leine gezogen und sagt: Das kann so nicht weiter­gehen mit dem 6,5-Milliarden-Euro teuren Bildungs­paket, not­falls muss der Haus­halts­aus­schuss des Bundes­tags dieses gescheiterte Projekt stoppen. Swantje Unterberg hat die ganze Geschichte aufgeschrieben.

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„Kleine Pause“ – der Bildungs-News­letter vom SPIEGEL
News, Debatten und neue Erkennt­nisse aus der Wissen­schaft: Hier erfahren Sie, was Deutschlands Schulen bewegt. Bleiben sie bei Bildungs­themen immer auf dem Laufenden. Erfahren Sie früher von neuen Ange­boten auf SPIEGEL Ed.

Und sonst noch?

Jan-Martin Klinge ist Lehrer. Und er hat sich Gedanken darüber gemacht, wie Veränderungen im Alltag weiterführender Schulen ankommen. Schließlich gehen auch viele Lehrerinnen und Lehrer nach den Sommerferien mit dem Vorsatz in die Klassenzimmer zurück, es in diesem Jahr aber nun wirklich einmal ganz anders zu machen. »Ich habe das Lehrerpult rausgeworfen«  heißt der Text auf seinem Blog, den er dazu verfasst hat.

Gut zu wissen

Bremen ganz hinten, Sachsen ganz vorn, insgesamt alles ganz dramatisch: So lassen sich die Ergebnisse des Bildungsmonitors der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« zusammenfassen. Die ist arbeitgebernah und macht Lobbyarbeit – was uns aber nicht daran hindern sollte, die Daten der Studie zum Thema Bildungsarmut genauer unter die Lupe zu nehmen. Wie beugen die Bundesländer vor, wo werden Kinder in ihren Schulen gut qualifiziert, wo nicht? Alle Einzelheiten zum Ranking der Bildungsökonomen finden Sie hier.

Zahl der Woche

Die Preise für Schulhefte und Zeichenblöcke sind im Juli im Vergleich zum Vorjahresmonat um 13,6 Prozent gestiegen. Das hat das Statistische Bundesamt mitgeteilt. Für Stifte und Farbkästen sowie für Füller und Füllerpatronen mussten 5,2 Prozent mehr gezahlt werden als noch im vergangenen Juli. Schulranzen waren im Schnitt 4,7 Prozent teurer. Eltern müssen zu Schuljahresbeginn also noch tiefer als sonst in die Tasche greifen, um ihre Kinder mit den nötigen Materialien auszustatten. Welche Kosten fallen bei Ihnen an? Und wofür? Was geben Sie für Hefte, Anspitzer, Sportzeug, dem Beitrag für die Klassenkasse oder Sonstiges aus? Wir interessieren uns für Ihre Erfahrungen. Schreiben Sie an bildung@spiegel.de , gern mit Kopien von Materiallisten, Kassenzetteln und einem Kontakt für Rückfragen.

Workshop: Schneller als der Algorithmus
Wie funktionieren Algorithmen und welchen Einfluss nehmen sie unsere Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse? Unsere jungen Medien-Fellows haben einen medienpädagogischen Workshop zu diesem Thema entwickelt, der für alle Schulformen ab Klasse 9 geeignet ist. 

Debatte der Woche

Weniger Stoff wagen!

Das Schuljahr geht wieder los. Zumindest in einigen Bundesländern. Das ist immer so: Wenn es um Schule geht, geht es immer um 16 verschiedene Systeme. Keine Aussage lässt sich auf alle Schulformen in allen Ländern beziehen. Obwohl – das ist nicht ganz richtig. Denn zumindest die Probleme sind fast überall gleich: Eklatanter Lehrermangel, der pandemiebedingt noch zunimmt, fehlende digitale Strukturen und Konzepte, gravierende Lernlücken und soziale Herausforderungen, dazu Tausende Geflüchtete.

Aber wenn es nach den politisch Verantwortlichen geht – wer auch immer das genau sein soll – bleibt alles wie immer: Der gleiche Stoff in der gleichen Zeit mit der gleichen Anzahl der Klassenarbeiten, die den gleichen Stress ausüben. Das geht nur nicht. Und dass das nicht geht, sieht man an immer mehr Teilzeitkräften, Jobwechslern, Burn-out-Patienten und grundsätzlicher Belastung aller Beteiligter.

Worüber könnte man in dieser Situation schreiben? Richtig, dass bloß die Leistung nicht abfällt. Hannah Bethke mahnte jüngst in der »Zeit« an, dass wir es aushalten müssten, »schlechte Leistungen als solche zu benennen«. So kann man die politisch fragwürdige, ja im Grunde hohle Aussage, die Schulen würden offen bleiben, weil die Kinder und Jugendlichen so wichtig seien, natürlich auch interpretieren: Die Schüler sind so wichtig, dass sie schön weiter Leistung bringen sollen. Und die Begründung wird gleich mitgeliefert: »Das Leistungsversprechen ist (...) ein genuin sozialer Gedanke«. Aha.

Ich finde: Wir sollten weniger Stoff wagen.

Und stattdessen vielleicht darüber nachdenken, dass es ein sozialer Gedanke ist, Schule so zu gestalten, dass möglichst alle jene elementaren Fähigkeiten erlernen können, die nötig sind, um in diesen chaotischen Zeiten mündig zu sein, nachhaltig zu leben und einen Beruf auszuüben, von dem man leben kann. Und zwar unabhängig vom Einkommen der Eltern.

Der Anspruch, der an Schule gestellt wird, geht nicht einher mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung gestellt werden. Vielleicht lässt sich diese Aussage auf alle Schulformen aller Bundesländer beziehen. Wir sollten das ändern. Das ist ein genuin sozialer Gedanke.

Wir verabschieden uns, bis zum nächsten Mal! Wenn Ihnen unterwegs ein Thema auffällt, dann schreiben Sie uns gern an bildung@spiegel.de  – das Team der »Kleinen Pause« dankt für Ihr Interesse!

Neues von SPIEGEL Ed

Neue Termine für medienpädagogische Schul-Workshops

SPIEGEL Ed, die Bildungsinitiative des SPIEGEL, bietet in Kooperation mit der Schwarzkopf-Stiftung auch in diesem Jahr wieder »Gute Nachrichten«-Kurse an. Dafür kommen junge Trainerinnen und Trainer der Stiftung sowie ein SPIEGEL-Redaktionsmitglied zu Ihnen in den Unterricht. Infos und Anmeldeoptionen für Lehrkräfte gibt es hier. Weitere Infos finden Sie außerdem hier .

Wir verabschieden uns, bis zum nächsten Mal! Wenn Ihnen unterwegs ein Thema auffällt, dann schreiben Sie uns gern an bildung@spiegel.de  – das Team der »Kleinen Pause« dankt für Ihr Interesse!

 

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