Liebe Leserinnen, liebe Leser, zugegeben, es ist durchaus verlockend, im dunklen Spätherbst schon mal über die Sommerferien nachzudenken. Trotzdem dürfte die Diskussion, die Ministerpräsidenten verschiedener Bundesländer derzeit über die Ferienzeiten führen, wenig Spaß machen. Der Ton wird zunehmend frostig - und passt sich damit den aktuellen Außentemperaturen an ("Das ist los").
Erfreulicher ist da der Blick auf die Ergebnisse der neusten Pisa-Studie, die heute Vormittag in Berlin vorgestellt werden. Die OECD testete im März und April 2018 mehr als 600.000 15-Jährige in 79 Ländern auf der ganzen Welt. In Deutschland nahmen rund 5500 Schülerinnen und Schüler an 220 Schulen teil.
Die gute Nachricht lautet: Deutschlands Schüler schnitten ganz ordentlich ab. Seit dem Pisa-Schock, der nach der ersten Studie 2001 wochenlange Debatten über die Qualität des Bildungssystems auslöste, hat sich vieles verbessert. Mehr dazu lesen Sie unter "Gut zu wissen". Außerdem verrät die Mathematikerin Kristina Reiss im Drei-Fragen-Interview, welches Ergebnis sie am meisten überrascht hat. Reiss koordiniert den Deutschland-Teil der Studie.
Viel Spaß beim Lesen, Stöbern und Entdecken wünscht
Das Team von "Kleine Pause"
Susmita Arp, Silke Fokken, Armin Himmelrath, Miriam Olbrisch
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Das ist los:
1. Nationaler Bildungsrat vorerst gescheitert
Er sollte das deutsche Schulsystem besser und gerechter machen, doch nun wird erst einmal nichts daraus: Der Nationale Bildungsrat ist wohl vorerst gescheitert. Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD Anfang 2018 festgelegt, ein Gremium mit Vertretern aus Bund und Ländern sowie Bildungsforschern gründen zu wollen. Dort sollte zum Beispiel diskutiert werden, wie das Abitur in Deutschland vergleichbarer werden könnte. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erteilte dem Vorhaben nun eine Absage, Baden-Württemberg zog ebenfalls zurück. Die SPD-geführten Bundesländer reagierten angesäuert. "Man könnte sich schon einigen, aber einige wollen es einfach nicht", kommentierte der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe (SPD) in einem SPIEGEL-Gastbeitrag. Und wie geht's jetzt weiter? Lesen Sie dazu den Leitartikel aus dem aktuellen SPIEGEL.
2. Streit um Sommerferien
Und schon wieder gibt es Diskussionen unter den Kultusministern. Um Staus auf den Autobahnen zu vermeiden und Hotels eine gleichmäßige Auslastung zu verschaffen, haben sich die Bundesländer bei den Sommerferien auf ein rollierendes System verständigt. Es teilt die Länder in Gruppen ein, die nacheinander in die Sommerferien starten und sich mit frühem und späterem Ferienbeginn abwechseln. Nur Bayern und Baden-Württemberg beteiligen sich nicht an diesem Modell, dort beginnen die Sommerferien immer Ende Juli oder Anfang August. Einige Bundesländer möchten eine Neuregelung verhandeln, die Südländer stellen sich stur. Warum Bayern und Baden-Württemberg auf ihren Sonderstatus verzichten sollten, erklärt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller im Interview mit dem Deutschlandfunk.
3. Ein Jahr für Deutschland?
Alle paar Monate, so scheint es, taucht diese Idee wieder auf: Junge Leute sollen nach ihrem Schulabschluss einen Pflichtdienst ableisten. Diesmal hat die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer das Thema wieder hervorgekramt. Sie habe den Eindruck, "dass wir etwas brauchen, was die Gesellschaft zusammenhält", sagte Kramp-Karrenbauer auf einer Parteiveranstaltung. 2018 hat Frankreich testweise so einen Dienst eingeführt: vier Wochen fürs Vaterland. Was Jugendliche dort erleben, berichtete die 16-jährige Zoé Martin im Sommer auf SPIEGEL Plus.
Gut zu wissen:
Der Pisa-Schock ist überwunden: In Mathematik, Lesen und den Naturwissenschaften liegen die Leistungen deutscher 15-Jähriger über dem Durchschnitt der OECD. Das ist die gute Nachricht. Die weniger gute lautet: In allen drei Bereichen schnitt Deutschland leicht schlechter ab als beim vergangenen Test im Jahr 2015. Auffällig ist die Leistungsbreite: In Deutschland liegen die Ergebnisse der Spitzengruppe und die der Leistungsschwachen weiter auseinander als in den meisten anderen Ländern. In der siebten Auflage testete die OECD erstmals, wie sicher sich Jugendliche in einer typischen Internetumgebung bewegen. Sie mussten dazu Informationen auf einer simulierten Homepage zusammensuchen oder einen Chat mit mehreren Teilnehmern analysieren. Die Ergebnisse flossen in die Bewertung im Bereich Lesen ein. Alle Informationen zur Studie finden Sie unter www.pisa.tum.de/pisa/pisa-2000-2018/pisa-2018.
Debatte der Woche
3 Fragen an Kristina Reiss, Dekanin für Lehrerbildung an der Technischen Universität München und Deutschland-Koordinatorin der Pisa-Studie
SPIEGEL: Frau Reiss, was hat Sie mit Blick auf die diesjährigen Pisa-Ergebnisse am meisten überrascht?
Kristina Reiss: Die weltweite Zunahme von Lese-Unlust. Wir prüfen bei Pisa nicht nur die Leistungen der Schülerinnen und Schüler, wir fragen auch nach ihren Gewohnheiten und nach ihrer Motivation. Dabei mussten wir feststellen: Viele Jugendliche lesen heute nicht mehr zum Vergnügen. Sie lesen vor allem, wenn sie Informationen benötigen. Das ist ein weltweites Phänomen, das mir Sorgen bereitet.
SPIEGEL: Woran könnte das liegen?
Reiss: Pisa fragt nicht nach den Ursachen für die Entwicklung. Wir vermuten allerdings, dass es an der leichten Verfügbarkeit von Videos liegt. Junge Menschen empfinden das Lesen manchmal als anstrengend - gerade, wenn die Lesetechniken noch nicht komplett gefestigt sind. Lesen ist Trainingssache. Von Serien oder Filmen, wie sie im Internet angeboten werden, können sich die Menschen berieseln lassen.
SPIEGEL: Gibt es Länder, von denen wir lernen können, das Lesen besser zu fördern?
Reiss: Ich bin immer vorsichtig damit, bei den Pisa-Vorreitern etwas abschauen zu wollen. Es ist nicht sinnvoll, Deutschland mit Singapur oder Südkorea zu vergleichen. In diesen Ländern hat Lehren und Lernen einen ganz anderen Stellenwert, es herrscht eine andere Kultur. Außerdem: Gerade bei der Leseförderung ist in Deutschland in den vergangenen Jahren schon sehr viel passiert. Schülerinnen und Schüler haben sich signifikant gesteigert, obwohl die Lernbedingungen hierzulande oft verbesserungswürdig wären. Da haben die Lehrkräfte in Deutschland ein Lob verdient.
Interview: Susmita Arp, Miriam Olbrisch