Hand aufs Herz: Wann waren Sie das letzte Mal in dieser kleinen Abstellkammer hinten im naturwissenschaftlichen Trakt Ihrer Schule? Steht da auch noch dieses menschliche Skelett auf einem kleinen Rollbrett, das sich zu den passenden Biologiestunden in die Klasse fahren lässt? In der Eifel haben Schülerinnen und Schüler jetzt dafür gesorgt, dass das echte menschliche Schulskelett nach rund 70 Jahren durch ein Skelett aus Kunststoff ersetzt wird – samt würdevoller Beerdigung für die unbekannte Frau, mit deren Knochen bisher gelernt worden war (»Das ist los«).
Hier könnte ich jetzt mit ein paar Wortspielen vom knochentrockenen Job in der Führungsetage eines Ministeriums weitermachen, von todlangweiligen Sitzungen oder ähnlichem – aber lassen wir das. Fakt ist: Thomas Sattelberger (FDP), bisher einer der Parlamentarischen Staatssekretäre im Bundesbildungsministerium, hat am vergangenen Freitag seinen Rücktritt erklärt. Offiziell heißt das: »Er hat um seine Entlassung gebeten« – und die wird ihm natürlich auch nicht verweigert.
Gerüchte um eine gewisse Unzufriedenheit des FDP-Manns mit seinem Amt hatte es schon länger gegeben, Sattelberger selbst begründete den Rückzug am Freitag mit »gesundheitlichen und privaten Gründen«. Auch sein Amt als Bundestagsabgeordneter werde er niederlegen; die Entscheidung sei ihm nicht leichtgefallen.
Für die Schulen könnte das eine schlechte Nachricht sein: Denn Thomas Sattelberger, der vor seiner Karriere in der Politik unter anderem im Vorstand der Deutschen Telekom aktiv gewesen war, stand wie kaum ein anderer für die Forderung der FDP nach einer schnellen und umfassenden Digitalisierung im Bildungssystem. Die Idee des von der Ampel vereinbarten Digitalpakts 2.0, mit dem die Fehlstellen des immer noch schwächelnden DigitalPakts Schule ausgebessert werden sollen, trägt seine Handschrift. Jetzt muss man abwarten, wer dieses Thema aufgreift – zum Redaktionsschluss der »Kleinen Pause« war ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin noch nicht bekannt.
Eine ganz andere – und unerwünschte – Art von Digitalkompetenz hat übrigens ein früherer Schüler einer Oberschule in Vechta (Niedersachsen) unter Beweis gestellt: Er soll über Zugangsdaten eines Lehreraccounts Prüfungsaufgaben heruntergeladen und an mehrere Jugendliche verteilt haben. Zahlreiche Klausuren mussten daraufhin neu geschrieben werden. Spannend wäre jetzt noch, zu erfahren, wie er an die Daten des Lehreraccounts gekommen ist.
Viel Spaß mit unserem Newsletter »Kleine Pause«! Wenn Sie Lob, Kritik oder Themenanregungen loswerden möchten: bildung@spiegel.de . Bis bald!
Das Team von »Kleine Pause«
Das ist los
1. Es muss etwas passieren
Die Digitalisierung – um die es eben schon ging – ist nur eine von mehreren Großbaustellen im deutschen Bildungssystem. Dazu gehört auch die ungleiche Verteilung von Bildungschancen, der Sanierungsstau bei vielen Schulbauten, der Lehrkräftemangel bis mindesten 2035. Klar ist: Es muss etwas passieren.
Die Bildungsforscher Olaf Köller und Felicitas Thiel leiten gemeinsam die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz. Im SPIEGEL-Interview fordern sie mehr Einheitlichkeit und klare Standards zwischen den Bundesländern – und mehr wissenschaftliches Wissen für Lehrerinnen und Lehrer. »Das ist ein grundsätzliches Problem im deutschen Schulsystem: Viele Lehrkräfte kennen aktuelle wissenschaftliche Befunde nicht oder sind skeptisch, was wissenschaftsbasierte Programme zur Unterrichtsentwicklung oder auch standardisierte Förderansätze betrifft. Stattdessen basteln viele Lehrkräfte hinter verschlossener Tür selbst an Lösungen«, sagt Felicitas Thiel.
Umso faszinierender ist es, wenn man vor Ort erlebt, wie eine bessere Schule aussehen kann. Meine Kolleginnen Susmita Arp und Miriam Olbrisch haben das in Hamburg-Kirchdorf erfahren. Ihre spannende Reportage »Was Kinder an Brennpunktschulen wirklich brauchen« finden Sie hier – unbedingte Leseempfehlung!
2. Zwei Beerdigungen
Tod und Abschied, dieser Themenkomplex kommt in Schulen eher selten vor. Die Schülerinnen und Schüler des Johannes-Sturmius-Gymnasiums in Schleiden haben das aber eingefordert, nachdem sie festgestellt hatten, dass es in ihrer Schule ein echtes menschliches Skelett aus den Fünfzigerjahren gab, an dem noch gelernt wurde. Die unbekannte Frau erhielt von den Jugendlichen behelfsweise den Namen Anh Bian, was auf Vietnamesisch »geheimnisvoller Frieden« bedeutet. Dann wurde sie mit einer von den Schülerinnen und Schülern gestalteten Zeremonie beerdigt.
Ob bei dieser Beerdigung geweint wurde, wissen wir nicht. Tränen sind jedoch in Remagen und Unkel geflossen, bei vielen Schülerinnen und Schülern – als die nämlich in der vergangenen Woche erfuhren, dass ihre Schule, das Franziskus-Gymnasium Nonnenwerth, zum Ende des Schuljahrs geschlossen wird. Der Grund: Ein Streit mit dem Immobilieninvestor, der das Gebäude 2020 gekauft hatte. Entstehen im ehemaligen Kloster nun Luxuswohnungen?
3. Die Sache mit dem Kuchenverkauf
Bei Schulfesten in Baden-Württemberg könnte demnächst eine Steuerpflicht auf Muttis Muffins drohen: Das Land bereitet neue Regeln für die Umsatzsteuer vor – und hat dabei auch die (meistens von Müttern, deutlich seltener von Vätern bestückten) Kuchenbuffets an Schulen im Blick. Was wir noch nicht endgültig klären konnten: Ist diese Entwicklung im Südwesten der Republik nun eine baden-württembergische Bürokratie-Spezialität? Oder sind sie im Ländle den anderen Bundesländern in der Umsetzung der neuen Steuerbestimmungen nur besonders weit voraus?
Und sonst noch?
Ein Tipp aus dem Norden: In der kommenden Woche, ab dem 29. Mai, findet das Junge Kurzfilmfestival Hamburg statt. Für Lehrkräfte mit ihren Schulklassen gibt es die Möglichkeit zum Kinobesuch mit Einblicken ins Making-of von ganz unterschiedlichen Filmen. Alle Infos dazu finden Sie hier.
Gut zu wissen
Die schleppende Digitalisierung der Schulen war eben ja schon einmal Thema. Dazu passt eine aktuelle Studie : Zwei Forscher des Wissenschaftszentrums Berlin wollten in Zusammenarbeit mit der GEW wissen, warum die Mittel beim Digitalpakt so zögerlich abgerufen werden. Sie führten dafür Interviews mit Schulpraktikerinnen und -praktikern in sieben Bundesländern. Die Liste der Gründe, die dabei zusammenkamen, hat es in sich. Genannt wurden
erhebliche bürokratische Hürden
mangelnde Transparenz bei der Geldvergabe
fehlende und ineffektive Kommunikation
viel zu wenig Fachkräfte in den Kommunen, die sich um die Schulausstattung kümmern
Klingt alles nicht so richtig gut, oder? Könnte aber andererseits auch eine Art Handlungsleitfaden sein für die neue Staatssekretärin oder den neuen Staatssekretär im BMBF.
Neues von SPIEGEL Ed
Aktuelle Unterrichtsmodule auch für Ihre Schule
SPIEGEL Ed ist die Bildungsinitiative des SPIEGEL, mit der wir Schülerinnen und Schülern die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten näherbringen möchten. Das ist für Sie als Schule kostenfrei. Hinweise zu den aktuellen Workshops, Videos und anderen Materialien finden Sie hier. Wir freuen uns, wenn Sie unsere Angebote nutzen! Auf der Website können Sie übrigens auch noch mal in allen früheren Ausgaben der »Kleinen Pause« stöbern.
Die nächste »Kleine Pause« erscheint – pünktlich zum Didacta-Beginn – am 7. Juni 2022. Bis dahin!
Ideen, Anregungen, Feedback? Wir freuen uns über Post an bildung@spiegel.de.