21.06.2022 Dringend gesucht: Personal (m/w/d) – seit gestern

Ein großes Problem in Kitas und Schulen sind die Kolleginnen und Kollegen, die nicht da sind – weil sie krank sind, weil Stellen nicht besetzt wurden oder nie vorgesehen waren. Die Folgen sind gravierend.

Erinnern Sie sich an Ihren letzten Kindergeburtstag oder den Ihrer Kinder? An den Spaß, aber auch das wilde Gewusel? An die Diskussion vorab, wie viele Kinder eingeladen werden sollen und wie viele den Rahmen sprengen könnten? Ich musste daran denken, als ich mit einer Kitaleiterin aus Rostock telefonierte. »Stellen Sie sich vor, dass Sie auf 15 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren aufpassen sollen«, sagte sie, »und zwar jeden Tag.« So sieht es der Betreuungsschlüssel in Mecklenburg-Vorpommern vor.

»Den Bedürfnissen der Kinder können wir so nicht gerecht werden«, sagte die Kitaleiterin, »überhaupt nicht.« Dann entschuldigte sie sich für ihre Stimme. Sie sei leider sehr doll erkältet. Trotzdem im Dienst? Sie lachte. »Na ja, wenn eine fehlt, reißt das bei unserer ohnehin sehr dünnen Personaldecke so eine große Lücke, dass die kaum zu schließen ist.«

So sieht es leider nicht nur in Rostock aus, wie eine Umfrage unter Kita-Beschäftigten des Paritätischen Wohlfahrtsverbands offengelegt hat. Geschäftsführer Ulrich Schneider spricht von »alarmierenden Befunden«. Die Personalnot in deutschen Kitas ist den Ergebnissen zufolge eklatant, Nachwuchs ist Mangelware. Dabei betont die Politik stetig, wie wichtig ihr frühkindliche Bildung sei. Neu ist das Problem nicht, aber wird sich etwas ändern (Debatte der Woche)?

Was schon bei den Kleinsten ein Desaster ist, läuft bei den Großen leider überhaupt nicht besser. Die seit Jahren bestehende Personalnot sehen Deutschlands Lehrkräfte als eine der größten Herausforderungen an, gleich nach der Coronapandemie, wie das Deutsche Schulbarometer zuletzt gezeigt hat. Wie gravierend sich der Mangel auswirkt, aber auch welche Lösungsansätze verfolgt werden (ich möchte Sie ja nicht nur deprimieren), ist hier skizziert (Das ist los).

Wie erleben Sie selbst die Personallage im deutschen Bildungssystem? Schreiben Sie gern – auch bei sonstigen Anregungen oder Feedback – an bildung@spiegel.de .

Das Team von »Kleine Pause«

Feedback & Anregungen?

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Das ist los

1. Keine Offiziere an die Tafel?

Der Personalmangel an Schulen war besonders groß, als wegen der Omikron-Welle viele Lehrkräfte zu Hause bleiben mussten. Am Lise-Meitner-Gymnasium in Unterhaching in Bayern bemühte sich die Schulleiterin um eine ungewöhnliche Lösung: Sie heuerte von März bis Juni angehende Offizierinnen und Offiziere von der nahe gelegenen Universität der Bundeswehr in Neubiberg an, wie unter anderem die »taz« berichtete .

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern kritisiert das Vorgehen in einer Mitteilung  scharf. Die Offiziersanwärter hätten sich im Unterricht auch als Militärangehörige vorgestellt und Auskunft zu ihrem Beruf gegeben. Dass Militärangehörige in Schulen auftreten, ist umstritten. Kritiker fürchten, die Soldatinnen und Soldaten könnten Minderjährige für den Dienst an der Waffe begeistern. Die Einzelheiten lesen Sie hier.

2. Den Schulleitungsposten attraktiver gestalten?

Es mangelt auch an Schulleitungen. Politik und Bildungsadministration müssten das Amt deshalb attraktiver gestalten, fordert die Wübben-Stiftung in einem Papier, das sie am heutigen Dienstag vorstellt. Dafür hat sie mehrere Studien ausgewertet . Bundesweit überlege jede fünfte Schulleitung, ihr Amt wieder aufzugeben. Viele der Wechselwilligen wollen sich beruflich weiterentwickeln, einer der Gründe ist aber auch die hohe Arbeitsbelastung. Mögliche Gegenmaßnahme: Für Verwaltungsaufgaben müsste zusätzliches Personal her.

Immer wieder berichten Schulleitungen  etwa, dass sie Aufgaben des Sekretariats oder – im Zuge der Pandemie – eines »Coronamanagers« übernehmen. Zudem müssen sie damit umgehen, dass die Personaldecke insgesamt extrem dünn ist; manche Lehrerstelle kann nicht besetzt werden. »Es ist nicht möglich, eine Verlässlichkeit an den Grundschulen zu versprechen, wenn es so weitergeht«, mahnt René Mounajed, Vorsitzender des Schulleitungsverbands Niedersachsen, im NDR . Er fordert eine »neue Ehrlichkeit«. Wie sich die Personalnot mancherorts praktisch auswirkt, ist in diesem Beitrag des Senders  zu hören.

3. Lieber keine Teilzeitstellen mehr?

Fast 40 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland arbeiten Teilzeit, und es könnten künftig noch mehr werden. Wie das Deutsche Schulbarometer jüngst gezeigt hat (die Ergebnisse finden Sie hier), plant eine von acht befragten Lehrkräften (das sind 13 Prozent), ihre Arbeitszeit im kommenden Schuljahr zu reduzieren. Das könnte auch daran liegen, dass sich fast die Hälfte der Befragten mental erschöpft fühlen. Der Kollege von der »Süddeutschen Zeitung«, Paul Munzinger, geht der Frage nach, ob der Staat die Teilzeitregeln strikter handhaben sollte. Zu dem lesenswerten Text bitte hier  entlang.

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Und sonst?

Es ist ein neues »Duden-Duell« erschienen, in dem Sie (und Ihre Schülerinnen und Schüler) Ihr Wissen rund um Rechtschreibung, Grammatik, Zitate, Redewendungen und sonstige Besonderheiten der Sprache testen können. Das Buch versammelt mehr als 300 Fragen, etwa diese: Was beschreibt der Ausdruck »homerisches Gelächter«?

Hätten Sie's gewusst? Er ist angelehnt an das als unermesslich beschriebene Lachen der Götter in den homerischen Epen »Odyssee« und »Ilias«. Vielleicht haben Sie Spaß an solchem Schlaumeierwissen – oder möchten das Buch für Vertretungsstunden nutzen, wenn Sie aus dem Stegreif/Stehgreif – oder Steegreif? – unterrichten sollen.

Workshop: Schneller als der Algorithmus
Wie funktionieren Algorithmen und welchen Einfluss nehmen sie unsere Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse? Unsere jungen Medien-Fellows haben einen medienpädagogischen Workshop zu diesem Thema entwickelt, der für alle Schulformen ab Klasse 9 geeignet ist. 

Debatte der Woche

Deutschland investiere sehr viel Geld in die »Reparaturarbeiten« in den höheren Jahrgängen und zu wenig in die Bildung der Jüngeren, kritisiert OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher seit Längerem. Bildungsforscherinnen und-forscher sind sich einig: Kitas kommt besondere Bedeutung zu, wenn es darum geht, Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft zu fördern.

Deutschlands Kitabeschäftigte stoßen jedoch mangels Ausstattung zunehmend an Grenzen, wie eine aktuelle Umfrage des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zeigt. Die Ergebnisse finden Sie hier.

In Mecklenburg-Vorpommern ist der Betreuungsschlüssel besonders niedrig. Was das für den Alltag bedeutet, hat mir die schon zitierte Kitaleiterin aus Rostock erzählt, die anonym bleiben möchte.

»Die Fachkraft-Kind-Relation, wie es im Behördendeutsch heißt, beträgt in der Krippe 1,1 zu 6. Das heißt bei uns: Von den Kleinsten sind jeweils 18 in einer Gruppe mit drei Erzieherinnen, die Vollzeit arbeiten. Bei den Drei- bis Sechsjährigen kommen rein rechnerisch 1,58 Erzieherinnen auf 15 Kinder. Weil wir von 6 bis 18 Uhr geöffnet haben, verteilen sich die Stunden über den Tag, sodass eine Erzieherin allein 15 Kinder betreut. Kommt Krankheit oder Urlaub hinzu, kann sich die Kinderzahl noch erhöhen. Die Kolleginnen tun, was sie können, aber bei diesem Personalschlüssel bleibt leider vieles komplett auf der Strecke.

Es ist kaum möglich, sich einem Kind mal einzeln zuzuwenden, es auf den Schoß zu nehmen, sich auf seine Themen und Fragen einzulassen, also individuell auf seine Bedürfnisse einzugehen. Die Politik hat festgelegt, dass Kitas einen Bildungsplan erfüllen sollen. Wir sollen mit Kindern experimentieren, ihnen Natur und Technik nahebringen, sie sprachlich fördern, Medienkompetenz vermitteln, sie auf die Schule vorbereiten… Das lockt die letzten Reserven aus den Kolleginnen heraus.

Viele sind erschöpft, werden krank und fallen mitunter lange aus, was die anderen im Team wiederum auffangen müssen, die dann umso belasteter sind. Das ist ein Teufelskreis. Ich ärgere mich sehr über die Politik, die ein Gute-Kita-Gesetz verabschiedet hat, das seinen Namen nicht verdient. Denn (nicht nur) in Mecklenburg-Vorpommern fließt nun das Geld vom Bund nicht in die Qualität von Kitas, sondern Eltern wurden bei den Beiträgen entlastet. Den Eltern sei das gegönnt, aber es ist schlimm, wenn dies auf Kosten der Kitas geht.«

Es ändere sich einfach nichts, sagt die Kitaleiterin. Sie klingt resigniert. Zu Recht?

Ministerin: »Nun gilt es, in die Qualität zu investieren«

Seit vergangenem Herbst ist Simone Oldenburg Bildungsministerin in Mecklenburg-Vorpommern. Ein Interview mit dem SPIEGEL war für sie zeitnah nicht möglich. Wie sie damit umgehe, dass die Kita-Umfrage ein eher düsteres Bild von der Kinderbetreuung in Deutschland zeichne, erklärte Oldenburg per Mail.

»In Mecklenburg-Vorpommern gibt es den größten täglichen Betreuungsumfang«, so die Ministerin. »Hier sind Kita und Hort komplett gebührenfrei. Das ist ein Meilenstein für eine gute Betreuung und eine enorme Entlastung für die Eltern.« Das Land habe die »höchste Betreuungsquote bundesweit. Das heißt: In keinem anderen Bundesland besuchen mehr Kinder eine Kita als bei uns.«

Die Ministerin räumt allerdings auch ein: »Nun gilt es, in die Qualität zu investieren; das heißt: Wir müssen vom Land der besten Öffnungszeiten und der besten Betreuungsquote zum Land der noch besseren Arbeits- und Ausbildungsbedingungen werden.«

Konkret verspricht Oldenburg: »Die Landesregierung plant in den nächsten Jahren: kleinere Gruppen, die Einführung eines Mindestpersonalschlüssels, eine breit aufgestellte Fachkräfteoffensive sowie eine verbesserte pädagogische Anleitung der Auszubildenden.« Wie dieser Mindestpersonalschlüssel konkret aussehen soll, lässt die Ministerin offen.

Immerhin, Handlungsbedarf ist erkannt. Ob das Glas damit halb voll oder leer ist, überlasse ich Ihnen. Die nächste »Kleine Pause« erscheint am 5. Juli. Bis dahin alles Gute!

Ideen, Anregungen, Feedback? Wir freuen uns über Post an bildung@spiegel.de .

 

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