22.09.2020 Ein Gipfel und andere Probleme

Dass Deutschland bei der Digitalisierung aufholen muss, steht außer Frage. Nur wie? Darüber wird sogar im Kanzleramt gerungen, und es gibt ein paar Ergebnisse.

Es ist ein Novum in der Coronakrise: Für Montag hatte Angela Merkel erstmals alle 16 Kultusministerinnen und Kultusminister ins Kanzleramt eingeladen. Ganz oben auf der Agenda stand die Digitalisierung der Schulen in Deutschland - die deutlich zu spät kommt, wie selbst Stefanie Hubig, Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), in einem Gespräch mit uns kurz vor dem Treffen eingeräumt hat. Nun also wollen Bund und Länder Tempo machen und haben, sagen wir mal, konkrete Absichtserklärungen vorgelegt. (Das ist los!)

Wie schnell eine Umsetzung erfolgt, werden wir beobachten. Das Thema hat jedenfalls Konjunktur. Fachleute sehen die Pandemie "als Entwicklungsmotor für eine Schule des digitalen Zeitalters", wie die Deutsche Schulakademie mitteilt. Sie veranstaltet in dieser Woche ein Online-Symposium, bei dem mehr als 1400 Akteurinnen und Akteure aus Schule, Wissenschaft und Politik über die Schule der Zukunft beraten. Vorab gibt es ein Positionspapier zum nötigen Kulturwandel - nicht nur mit Blick auf Digitalisierung.

Das Thema treibt auch die ehemalige Schulleiterin Kati Ahl um, die gerade ein Buch zu dem Thema veröffentlicht hat. Welche "wegweisenden Antworten auf drängende Fragen", so der Untertitel, sie bei ihrer Recherche fand, hat sie uns am Telefon erzählt ("Debatte der Woche").

Unfreiwillig müssen sich viele andere Schulakteure erst mal mit der "neuen Normalität" im Corona-Schuljahr befassen. Wir haben für Sie zahlreiche Stimmen von Schülern, Eltern und Lehrern dazu gesammelt, wie es bisher läuft - nur Ihre fehlt vielleicht noch. Das Team von "Kleine Pause" freut sich über Eindrücke: kleinepause@newsletter.spiegel.de

Eine gute Woche, herzlich

Susmita Arp, Silke Fokken, Armin Himmelrath

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Das ist los

1. Der Schulgipfel im Kanzleramt – "Hochdruck" und laues Lüftchen

Vor rund einem Monat gab es schon mal einen ähnlichen "Schulgipfel", allerdings in deutlich kleinerer Besetzung. Nein, die Regierungschefin habe die Bildungsminister damals nicht zum Rapport einbestellt, versicherte uns KMK-Präsidentin Stefanie Hubig in einem Interview im Schulministerium in Mainz. Es sei vielmehr um einen informellen Austausch gegangen, der dann doch zu konkreten Ergebnissen geführt habe, etwa zu der Vereinbarung, dass Lehrkräfte Dienstlaptops bekommen sollen.

Nun also der nächste Gipfel im Kanzlerinnenamt: mit Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU), SPD-Chefin Saskia Esken und den Kultusministerinnen und -ministern der Länder. Was dabei herauskam? "Handlungsstränge", die noch zu definieren sind. Den von Merkel beschworenen "Hochdruck" vermittelte der Gipfel nicht. Regierungssprecher Steffen Seibert teilte nach dem Gespräch lediglich mit, es seien "Handlungsstränge identifiziert worden". Die sieben benannten Punkte allerdings sind alle schon bekannt. Darunter etwa der Ausbau des schnellen Internets für Schulen, die Ausstattung der Lehrkräfte mit Dienstlaptops oder die Co-Finanzierung der IT-Administratoren. Weiteres lesen Sie hier.

Wie Hubig in diesen Zeiten über Föderalismus, den Begriff "Flickenteppich" sowie die Bereitschaft ihrer KMK-Kollegen zur Zusammenarbeit denkt, können Sie hier nachlesen: Digitalisierung scheitert oft schon an fehlendem WLAN.

2. Schuljahr 2020/21 - "Schulleiterjob fühlt sich an wie Twister spielen"

In ganz Deutschland, inklusive der Späturlauber Baden-Württemberg und Bayern, ist nun der sogenannte eingeschränkte Regelbetrieb an den Schulen gestartet. Eine erste Bilanz der Lehrerverbände fällt gemischt aus: "Alle geben sich wirklich Mühe, aber es läuft ein bisschen auf gut Glück", sagt Ilka Hoffmann, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Schulleitungen beschwerten sich, dass vieles an ihnen hängenbleibe und der Rückhalt der Politik fehle. Die Lernrückstände benachteiligter Schüler auszugleichen, sei zeitlich und personell kaum möglich.

Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), mahnt: "Es gibt einfach zu viele Baustellen und nicht das eine Problem, das schnell behoben werden kann." Durch die Versäumnisse der Vergangenheit fühle sich der Schulleitungsjob gerade an, wie Twister zu spielen: "Kann ich dort das Loch in der Wand zuhalten (Schulbau) und mit dem Fuß noch das Smartboard an die Wand schrauben (Digitalisierung), fehlt mir aber trotzdem die Lehrkraft, die in der 8a Mathe vertreten kann (Lehrkräftemangel)."

Wie erleben Schüler, Eltern und Lehrkräfte das neue Schuljahr? Wir haben verschiedene Stimmen gesammelt, unter anderem von einem Risikopatienten, der nur mit Angst in den Unterricht geht. Eine Berufsschullehrerin sorgt sich um die Beziehung zu ihren Schülern, wenn sie dauernd reglementieren, ermahnen und erinnern muss: "Haltet Abstand!" Oder: "Nein, Sie beißen nicht vom Schokoriegel der anderen ab." Lesen Sie hier, was die Menschen bewegt.

Weitere Stimmen von Schulakteuren haben unsere Kolleginnen Sandra Sperber und Yasemin Yüksel in einem Podcast gesammelt.

3. Was sonst noch war  

Tausende Kinder sind derzeit neu in der Schule, die Erstklässlerinnen und Erstklässler. Wie gut sie auf die Schule vorbereitet sind, hängt nicht zuletzt von ihrer Kita-Zeit ab. Wurden sie ausreichend gefördert? Bisher war es schon schwer, allen Kindern gerecht zu werden, in der Pandemie habe sich die Situation noch einmal verschärft, berichteten mehrere Fachkräfte unserer Kollegin Swantje Unterberg. Sie hörte sich beim Kitaleitungskongress in Berlin mit rund 600 Erzieherinnen und Erziehern um, eine Pädagogin brachte es dort auf den Punkt: "Corona ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt." Weiteres lesen Sie hier.

Debatte der Woche

In der Pandemie hieß es immer wieder, Corona habe die Schwächen des deutschen Schulsystems offenbart. Reformen seien dringend nötig. Die ehemalige Schulleiterin und Schulentwicklungsberaterin Kati Ahl, 48, Mutter von drei Kindern, hat pünktlich zu Beginn des neuen Schuljahrs ein Buch mit konkreten Vorschlägen vorgelegt: "Schule verändern - jetzt!", erschienen im Klett Verlag. 

SPIEGEL: Frau Ahl, wie sind Sie auf die Idee für Ihr Buch gekommen - hatten Sie im Lockdown einfach mehr Zeit als sonst zum Nachdenken? 

Kati Ahl: Nein, das Buch habe ich vor Corona geschrieben. Ich war acht Jahre Leiterin einer Grundschule in Frankfurt am Main und hatte immer diese Vision, dass ich für die Kinder dort, aber eigentlich alle in Deutschland etwas Besseres erreichen möchte. Das scheitert oft, weil wir in den Kollegien zu wenig Zeit haben, um Herausforderungen wie die Inklusion oder den Unterricht für Flüchtlingskinder innovativ anzugehen. Wir stecken zu oft im Hamsterrad. Bei der Recherche für das Buch wollte ich wissen, wie wir da herauskommen, welche Vorschläge es gibt. 

SPIEGEL: Wie sind Sie vorgegangen? 

Ahl: Viele Menschen sind sehr unzufrieden mit dem System Schule und haben das Gefühl, dass sich etwas ändern muss. Doch wie das passieren soll, darum gibt es viel Streit, das Thema polarisiert. Wenn es jedoch wirklich eine Bildungsrevolution geben soll, ist das eine Gemeinschaftsaufgabe. Wir können das nur gemeinsam schaffen. Ich habe deshalb Interviews mit 17 Menschen geführt, von der Mutter eines behinderten Kindes bis hin zum OECD-Bildungsexperten Andreas Schleicher, was sich ändern sollte - und wie. Jedes Gespräch war für mich eine Quelle der Inspiration. 

SPIEGEL: Wenn Sie drei Wünsche frei hätten - welche wären es? 

Ahl: Erstens: Ich wünsche den Kindern in der Schule mehr Freude und weniger Belastung, ebenso wie ihren Lehrern. Alle sind oft sehr erschöpft. Zweitens: Der Lernbegriff muss sich ändern. Lehrkräfte sollten sich an dem Prinzip orientieren: 'Ich lerne, wie das Kind lernt". Es muss mehr darum gehen, wie sich ein Kind in der Schule als Mensch entwickelt, die Dominanz der Fächer muss aufgehoben werden. Drittens brauchen wir an Schulen eine andere Fehlerkultur. Weder Lehrkräfte noch Kinder dürfen sich derzeit wirklich Fehler erlauben, es herrscht ein gewaltiger Druck. Diese Atmosphäre ist kontraproduktiv, wenn wir innovativ sein wollen. Denn Innovationen sind immer mit Fehlern verbunden, aus denen sich dann lernen lässt.

Ideen, Anregungen, Feedback? Wir freuen uns über Post an kleinepause@newsletter.spiegel.de

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