Alle Bundesländer sollten doch bitteschön eine Bildungs- und Betreuungsgarantie für den Fall wieder steigender Corona-Infektionszahlen geben, sagte der FDP-Politiker zur Deutschen Presse-Agentur: "Eine solche bundesweite Garantie muss auch auf die Tagesordnung des nächsten Treffens der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten."
Das klingt kernig - und ziemlich realitätsfern, wie der Blick auf die aktuellen Stolpereien im Schulalltag zeigt: Schon jetzt läuft es nicht besonders rund, und der von den Kultusministerien flächendeckend ausgerufene "Normalbetrieb unter Pandemie-Bedingungen" hat vielerorts sehr wenig von Normalität und sehr viel von Pandemie ("Das ist los").
Aus den Niederungen des Corona-Alltags in die Höhen der internationalen Bildungsstatistik: Die OECD hat ihren druckfrischen Bericht "Education at a Glance" ("Bildung auf einen Blick") vorgelegt, mit Kennzahlen unter anderem zu den nationalen Bildungsausgaben - und das könnte durchaus für Diskussionen in Deutschland sorgen ("Debatte der Woche").
Außerdem geht es in diesem Newsletter um eine echte deutsche Institution, das Elterntaxi, um (un)glückliche Kinder und Jugendliche und darum, was Eltern vom Bildungsföderalismus halten. Spoiler: wenig.
Das Team von "Kleine Pause" wünscht Ihnen viel Lesegenuss - und wenn Sie uns etwas ans Herz legen wollen, erreichen Sie uns unter kleinepause@newsletter.spiegel.de.
Susmita Arp, Silke Fokken, Armin Himmelrath
Das ist los
1. Das Elterntaxi-Experiment
Im Landkreis Peine in Niedersachsen leben 130.000 Menschen. Denen hat der Kreis vor Kurzem ein geldwertes Angebot gemacht: Sie sollten doch, bitteschön, ihre Kinder mit dem eigenen Wagen zur Schule bringen, statt sie in einen Schulbus zu setzen - 30 Cent pro gefahrenen Kilometer wurden dafür ausgelobt. "Wir wollten Eltern, die Angst haben, ihre Kinder könnten sich in den vollen Schulbussen anstecken, einen Anreiz geben, mit dem Auto zu fahren", sagt Kreis-Pressesprecher Fabian Laaß im SPIEGEL-Interview.
Das Ganze sollte ein Experiment sein, um herauszufinden, wie der Kreis auf die neuen Herausforderungen durch die Pandemie reagieren kann. Versuche sind ja bekanntermaßen dazu da, etwas auszuprobieren - und es bei Bedarf auch wieder zu lassen. Fabian Laaß erklärt deshalb auch, warum das Elterntaxi-Experiment vorzeitig abgebrochen wurde.
Von einer ganz anderen Seite haben sich der Verband Bildung und Erziehung (VBE), der Verkehrsclub Deutschland (vcd) und das Deutsche Kinderhilfswerk dem Thema Elterntaxi genähert: Sie suchten nach Anreizen, damit möglichst wenige Schulfahrten mit dem Privatwagen unternommen werden. Eine der Empfehlungen: Nicht nur Erwachsene sollten in der Verkehrspolitik entscheiden, auch Kinder und Jugendliche müssen ihre Sicht einbringen können.
2. Das Stoßlüften-Dilemma
Es gibt ja bekanntermaßen ein Hygienekonzept für den Unterricht in diesem neuen Schuljahr, das die Kultusministerkonferenz verabschiedet und vergangene Woche noch einmal aktualisiert hat (hier ist der Link). Die Ministerinnen und Minister feiern es als einheitlichen Rahmen, de facto aber ist es nur ein Schönwetter-Papier auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners.
Vor allem aber: Die Länder sorgen selbst dafür, dass von der beschworenen Einheitlichkeit nicht viel übrig bleibt. Beispiel Mund-Nasen-Schutz: So wird Bayern die Maskenpflicht im Unterricht erst einmal einführen, während NRW sie abgeschafft hat - vielleicht auch unter dem Eindruck eines Urteils, nach dem Maskenverweigerer trotz der Tragepflicht nicht einfach aus der Klasse geschmissen werden dürfen.
"Der Maskenstreit lenkt ab", ärgert sich SPIEGEL-Redakteurin Silke Fokken in ihrem Kommentar - nämlich von all den gravierenden Schwächen in deutschen Schulen. Dazu gehört auch der bauliche Zustand der Bildungsanstalten: Fenster ohne Griffe, Fenster mit Öffnungssperre, Fenster nur an einer Seite des Klassenzimmers. Wie man denn da das Stoß- oder Querlüften hinbekommen soll, fragen sich (und per Mail auch uns) viele Lehrerinnen und Lehrer. Und daran schließt sich eine zweite Frage an: Wie ernst kann man Kultusministerien nehmen, die sagen, dass Lüftungs-ungeeignete Klassenräume dann eben nicht mehr für den Unterricht genutzt werden dürfen?
Unterricht (fast) wie immer und echter Infektionsschutz - das geht eben nicht zeitgleich: ein echtes Dilemma. Wenn Sie ein bisschen tiefer in dieses Thema eintauchen wollen, empfehlen wir Ihnen diesen Text der Kolleginnen und Kollegen von news4teachers.de. Und wenn Sie danach Ihren Frust wieder abbauen wollen, könnte dieser Text von Alex Rühle in der "Süddeutschen Zeitung" helfen: Er erzählt von Lehrerinnen und Lehrern, die sich von der Krise inspirieren ließen und begeisternde Unterrichtsprojekte entwickeln haben.
3. Was sonst noch war
Das Bundesarbeitsgericht hat das pauschale Kopftuchverbot für Lehrerinnen in Berlin zurückgewiesen. Eine muslimische Bewerberin, die nicht eingestellt worden war, sei wegen ihrer Religion diskriminiert worden.
Meistens freuen sich Schülerinnen und Schüler, wenn sie eine Prüfung nicht schreiben müssen. Diese Freude ist aber bei zahlreichen Schulabsolventinnen und -absolventen in Frust umgeschlagen: Die wegen Corona fehlenden Prüfungsnoten wurden durch einen Algorithmus ersetzt - und der sorgte bei zahlreichen Jugendlichen für ein Abrutschen des Durchschnitts.
Debatte der Woche
Jedes Jahr Anfang September veröffentlicht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihre Studie "Education at a Glance", auf Deutsch: "Bildung auf einen Blick". Am Dienstag war es wieder so weit: 584 Seiten, vollgepackt mit Daten zu den Bildungssystemen aus zahlreichen Staaten. Und wenn Sie darin stöbern (hier bei der OECD finden Sie den Originalbericht), dann stoßen Sie garantiert auf Themen, mit denen Sie wahlweise Ihren Bekanntenkreis, Ihr Kollegium oder Ihre Schulleitung in wilde Diskussionen verstricken können. Ein paar Beispiele? Bitte sehr:
Deutschland gibt pro Jahr umgerechnet 9572 US-Dollar für jeden Grundschüler aus - für Schüler(innen) der Sekundarstufe I dagegen 11.975 US-Dollar und in der Sekundarstufe II sogar 15.466 US-Dollar. Müsste das Verhältnis nicht eigentlich genau andersherum sein?
Deutschland zahlt Vollzeit-Grundschullehrkräften im Schnitt umgerechnet ein Jahresgehalt von 74.407 US-Dollar pro Jahr - der OECD-Durchschnitt liegt bei 43.942 US-Dollar. Andererseits arbeiten Lehrerinnen und Lehrer in deutschen Grundschulen im Schnitt 698 Unterrichtszeitstunden pro Jahr - im OECD-Schnitt sind es dagegen 778 Stunden. Merken Sie was?
Eine ausführlichere Darstellung der Ergebnisse aus dem OECD-Bildungsbericht finden Sie übrigens hier.
Gut zu wissen
In den vergangenen Tagen haben uns zwei Studien beschäftigt, die interessante Ergebnisse enthalten. Da ist zum einen der aktuelle Unicef-Report, der sich mit dem Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in 41 Ländern weltweit beschäftigt. Er erklärt eindringlich, warum auch Kinder in wohlhabenden Gesellschaften wie etwa in Deutschland unglücklich sind: Bildungslücken, Einsamkeit, Übergewicht können auslösende Faktoren sein. Es lohnt sich, einen Blick auf die Resultate dieser Untersuchung zu werfen.
Mindestens ebenso spannend ist der neue Ifo-Bildungsmonitor: Bildungsökonomen haben Tausende Eltern nach ihren Einschätzungen zur föderalen Bildungspolitik befragt. Das Ergebnis: Viel mehr Kompetenzen in der Schulpolitik sollten zentral bei der Bundesregierung zusammengefasst werden, einige andere an die kommunale Ebene der Schulträger abgegeben werden - die Länder allerdings, gaben die Befragten an, sollten weniger zu sagen haben. Man kann das als heftige Misstrauensäußerung gegenüber den Kultusministerien der Bundesländer deuten: Hier finden Sie alles Wichtige zu dieser Studie.
Ideen, Anregungen, Feedback? Wir freuen uns über Post an kleinepause@newsletter.spiegel.de.