Deutschland ist im Impffieber, das ist eigentlich eine lustige Wortkombination, aber im Ernst: Wenig erhitzt die Menschen derzeit wohl so sehr wie die Frage, ob Kinder ab zwölf Jahren geimpft werden sollten oder nicht. Können die Schulen womöglich erst dann vollständig und flächendeckend wieder Präsenzunterricht anbieten?
Und reichen alle Bemühungen aus, um auch nach den Sommerferien wieder in den Regelunterricht zurückzukehren – womöglich sogar ohne Masken und Abstand halten? Karl Lauterbach hofft sehr darauf, und die kleine Partei »Bildet Berlin!« tut zumindest ihr Nötigstes, um den Unterricht in der Hauptstadt für alle Beteiligten zu verbessern. (»Das ist los«).
Kai Maaz, Professor für Soziologie und Geschäftsführender Direktor des DIPF Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, sieht noch einiges auf die Lehrkräfte zukommen. Nicht nur die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler werden ihm zufolge unter der Pandemie gelitten haben, sondern auch die Psyche der Kinder und Jugendlichen. (»Interview der Woche«).
Doch es ist nicht alles zum Wegrennen: Immer mehr Kids dürfen ihre Schule wieder von innen sehen, die Sonne scheint wieder öfter, und die ersten Freibäder haben geöffnet.
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Das Team von »Kleine Pause«
Silke Fokken, Kristin Haug, Armin Himmelrath, Miriam Olbrisch
Das ist los
1. Kinder impfen lassen?
Am Freitag hat die Europäische Impfkommission (Ema) den Impfstoff von Biontech/Pfizer für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren zugelassen. Aber ist es gerecht, kerngesunden Kindern in einem Zug mit über 40-Jährigen den erlösenden Piks zuteilwerden zu lassen? Und ist es überhaupt medizinisch sinnvoll? Um diese Frage zu beantworten, hilft es, ins Ausland zu schauen: In den USA, in Großbritannien und Israel werden Kinder bereits geimpft. In Deutschland prüft die Ständige Impfkommission derzeit, ob sie die Impfungen für Kinder empfiehlt. Mehr dazu lesen Sie hier und hier.
2. Zurück zum Präsenzunterricht
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach spricht sich klar dafür aus, Kinder impfen zu lassen: »Im Herbst wird der Präsenzunterricht schwierig werden, wenn die Kinder nicht geimpft sein sollten.« Deswegen sei es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass die Impfung der Kinder nötig sei, »wenn wir den Präsenzunterricht im Herbst stattfinden lassen ohne Masken und Abstände«. Lauterbach empfahl auch, den Regelunterricht schon vor den Sommerferien vollständig wieder aufzunehmen, allerdings nur, wenn regelmäßig getestet werde.
3. Partei für die Bildung
Mit der Kampagne »Schule muss anders« und der kleinen Partei »Bildet Berlin!« wollen Pädagoginnen und Pädagogen, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler die Schwächen des Berliner Schulsystems bekämpfen. In der Hauptstadt brechen rund 2000 Jugendliche im Jahr die Schule ab. Das müsse verhindert werden, sagt Philipp Dehne, ein ehemaliger Lehrer, der hinter der Kampagne steht. In den nächsten acht Jahren sollten daher rund 25.000 neue Lehrkräfte eingestellt werden. Zudem solle der Druck und Stress aus dem Schulalltag herausgenommen werden, indem Lehrkräfte weniger unterrichten, um mehr Zeit für die Betreuung der Schülerinnen und Schüler zu haben.
Und sonst noch?
Weil das Mathe-Abitur in Mecklenburg-Vorpommern viel zu schlecht ausfiel, werden alle Noten in diesem Fach um zwei Notenpunkte angehoben. Im Durchschnitt lagen die Notenpunkte in diesem Jahr bei 4,1 im Grundkurs und bei 5,6 im Leistungskurs, im vergangenen Jahr bei 5,7 und 8,4.
Ein Vater aus Baden-Württemberg verklagt das Schulamt, weil sein Sohn drei Jahre lang keiner Schule zugewiesen worden sei.
Gut zu wissen
Ihre Schülerinnen und Schüler oder Ihre Kinder hängen zu viel auf Instagram rum? Dann sind sie auch anfälliger für Phishingmails, wie die TU Darmstadt und ein Start-up für IT-Sicherheit herausgefunden haben. Nutzerinnen und Nutzer von sozialen Medien wie Facebook oder Instagram sind deutlich anfälliger für Attacken von Cyberkriminellen als Menschen, die nicht auf solchen Plattformen angemeldet sind.
Kriminelle bauen in ihren Betrugsmails oft Infos ein, die ihre Opfer freimütig auf den Plattformen preisgegeben haben, deswegen wirken die Mails auch so persönlich. Und solche Mails werden von Social-Media-Nutzenden öfter angeklickt als von Menschen, die keine Social-Media-Accounts haben, sagt Anjuli Franz, Mitautorin der Studie. »Dies bestätigt, was bereits früher in der Forschung gezeigt werden konnte: Social-Media-Fans nutzen seltener ›rationales Denken‹ und bewerten Informationen nicht so oft kritisch.«
Interview der Woche
Kai Maaz ist Professor für Soziologie und Geschäftsführender Direktor des DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Zusammen mit anderen Bildungsforscherinnen und -forschern hat er das Buch »Schule weiter denken. Was wir aus der Pandemie lernen« herausgegeben.
SPIEGEL: Herr Maaz, Millionen Schülerinnen und Schüler konnten über einen langen Zeitraum hinweg nicht zur Schule gehen und mussten zu Hause lernen. Werden wir in den nächsten Pisa-Studien einen »Coronaschock« sehen?
Maaz: Von einem nachweisbaren Effekt sollten wir ausgehen – auch wenn ich hierzu ungern in die Glaskugel schauen möchte. Und die Lernleistung der Schülerinnen und Schüler ist nur das eine Problem. Mindestens genauso wichtig ist doch, wo die Kinder und Jugendlichen in ihrer psychosozialen Befindlichkeit stehen. Viele waren über Monate isoliert, viele hatten und haben noch immer Angst, sich selbst oder ihre Familien mit dem Virus anzustecken.
SPIEGEL: Andere Wissenschaftler sprechen bereits von einer »verlorenen Generation«.
Maaz: Die Lage ist ernst. Aber verlorene Jahrgänge oder gar eine verlorene Generation auszurufen – dem folge ich nicht. Das wäre eine Kapitulation vor den Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen. Das dürfen wir nicht zulassen.
SPIEGEL: Nach eineinhalb Jahren Pandemie sind viele erschöpft: die Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte, die Eltern. Woher sollen wir die Energie für weitere Entwicklungsschübe nehmen?
Maaz: Ich glaube, die Schülerinnen und Schüler ziehen Energie daraus, dass sie ihren kindlichen und jugendlichen Alltag bald wiederbekommen, so schnell und so normal wie irgend möglich. Ich habe den Eindruck, dass sie danach lechzen, sich den Lebensraum Schule zurückzuerobern. Dazu gehört das Lernen in einer Gemeinschaft, dazu gehören auch die Freunde, das Streiten, das Spielen, das Miteinander. Für die Eltern wird es eine Erleichterung sein, aus dem Spagat zwischen Arbeit und Kinderbetreuung herauszukommen.
SPIEGEL: Und die Lehrkräfte?
Maaz: Ich hoffe, dass die Coronazeit die Lust auf die Weiterentwicklung des Systems entfacht hat. Dafür wird es wichtig sein, nicht sofort wieder in den normalen Lehrbetrieb zu schalten, sondern die Diskussion über ein zukunftsfähiges Bildungssystem am Leben zu halten.
SPIEGEL: Was erwarten Sie mit Blick auf das kommende Schuljahr – wann wird die lang ersehnte »Normalität« in den Schulen einziehen?
Maaz: Das nächste Schuljahr wird sicher normaler laufen als das jetzige, aber wirklich normal, wie wir es vor der Pandemie kannten, wird es nicht werden.
Das Interview in voller Länge finden Sie hier.
Die gute Nachricht zum Schluss
Jugendliche ab 14 Jahren können sich in Sachsen ab dieser Woche in einigen Impfzentren um einen Impftermin bemühen. Das kündigte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Montag in Dresden an.